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Ein Artikel von Benno von Achenbach aus dem Jahr 1920
zur Situation des Fahrsports.
Der alle Pferdemenschen anheimelnde Geruch gut erhaltener Ställe, Sattelkammern und Remisen hat sich vielfach in Düfte und Öl Bäche verwandelt, die an verdorbene geräucherte Leberwurst erinnern. Die stolzen hundertpferdigen oder alten rappelnden, mit verbogenen Achsen dahin-wackelnden Kasten knattern an uns vorbei, und immer von neuem wird trotz aller Erlasse -die Luft verpestet. Zu Hause erholen sich langsam Nase und Ohren und bei Nervösen nach und nach auch der ganze Mensch. — In Gedanken zieht dann oft tröstend eine Reihe schöner Gespanne und guter Fahrer vorüber, die wir auf den Turnieren sahen. Die Zahl ist jetzt wohl erheblich kleiner als vor dem Weltkriege. Aber die Liebe und Freude an schönen Pferden darf und wird nicht aussterben. Einige der passioniertesten Fahrsportsleute haben ihr Leben gelassen, so i)er Besitzer der einst schönsten Pferde Berlins, Herr H. L. Kappel. Durch seinen frühen Tod hat der Fahrsport einen schweren Verlust erlitten. Von der leichten Fakultät hat sich leider unser bester Juckerfahrer, Exz. Graf von Alvensleben, infolge Verstimmung über eine Protestentscheidung, mit seinen Gespannen ganz zurückgezogen. —Aber die Welt dreht sich, und andere Bilder treten in die Erscheinung. Da ist in erster Linie Herr Dollmann, der Besitzer des Gestüts Preten in Mecklenburg, zu nennen, dessen Bemühungen um die Zucht inländischer Hackneys bereits goldene Früchte getragen haben. Der Fuchshengst King of Dundee vom King of the East-Bonnie Dundee und der in Herrn Alfred Zentlers Besitz übergegangene, auch in Preten geborene Rot-schimmel-Hengst Antonius von Mecklenburg v. Antoniius-Mether-field Belle sind Perlen, denen hoffentlich viele gute Stuten zugeführt werden
Herr von Arnim-Lützlow, der Gewinner der beiden Wanderpreise für den besten Tandem- und Viererzug-Fahrer, besitzen korrekten und starken, in Zieverich gezogenen Hackney-Hengst Hardy vom Earl Dudley-Hersey v. Danegelt mit guter Nachzucht. Herr Paul Bischoff erwarb kürzlich für sein Hackney-Gestüt die schönen Fuchsstuten Blanch Lady Mary und Blanch Miß Ada vom King of the East «aus der Gay Girl und der Miß Smith. Herr Bischoff beabsichtigt, weitere reinblütige Hackneystuten und einen Klassehengst dazu zu erwerben.
Der Sinn für schöne Wagenpferde mit bedeutendem Gange treibt Knospen; mögen sie aufblühen und gedeihen. Antonius verdient in erster Linie wegen seines untadeligen Gebäudes, glänzenden Gangwerks und lammfrommen Charakters eine Beschäler-Box und den Besuch der besten vorhandenen Saaten. Herrn Zentlers Tandem: Antonius und Pierrot, ist in jeder Beziehung mustergültig.
Um nicht Jahr und Tag auf kleine Antoniusse zu warten, hat Herr Zentler zu seinen Dollmannschen Marc Aurel und Helios, zu Harlekin und Pierot kürzlich zwei ganz überragende Fuchs-Wallache von dem so allgemein beliebten, in der Blüte der Jahre aus dem Leben gerissenen Herrn Heinrich Meyer erworben. Es sind große, bildschöne Hackneys mit hochedlen Linien, Hälsen und hervorragenden Gängen: Shipton King v. Angram Astonisbment - Shipton Minnie und George Bowe v. Roans Polonius - Kate. Eine weitere junge Kraft mit großer Pferdepassion, Herr Rudolf Schmidt in Elberfeld, hat bereits fünf schöne große Hackneys, Schimmel und Rotschimmel, beisammen, die zum Teil erst im nächsten Jahre auf Turnieren erscheinen werden.
Nicht zu vergessen sind die vier vorzüglich zueinander passenden und miteinander gehenden Schimmel des Gutes Freienhagen, von Herrn Marcuse mit Geschick gezeigt.
Der Traberhengst Bergfried (Bes.Herr Siegel), der im Stadion in der Materialprüfung für Traber siegte.
Von Juckern gaben die Gespanne der Frau Schmitz-Hasenwinkel und des Herrn von der Borch gute Bilder ab. Die schnellen, in Hasenwinkel gezogenen Traber sollten jedoch entweder ganz amerikanisch oder ungarisch herausgebracht werden; das wäre stilvoller.
Das Gespann des Herrn von der Borch wirkt dagegen rein juckerisch. Die Geschirre sind allerdings in einigen Teilen nicht praktisch und unschön, z. B. die Strang-Enden und die den Vorderpferden viel zu weiten Kammdeckel. Die Strang-Schnallen gehören an die Seitenblätter, nicht dahin, wo sie plump wirken, dem Bewerfen mit Schmutz ausgesetzt sind und beim Parieren nicht helfen.
Was die Fahrkunst angeht, so hat sie in den letzten 15 Jahren Fortschritte gemacht. Heute kommt kaum mehr jemand mit französischer oder bäuerlicher Leinen-Führung (durch die volle Hand) zum Turnier. Di« große Kunst richtiger Arbeitseinteilung bei zwei und vier Pferden lässt noch oft zu wünschen übrig, erst wo da« gekonnt ist, fingt die Fahrkunst an.
Hierzu gehört auch der richtige Peitschengebrauch, da ist noch viel zu lernen. Auch heute noch findet man bei manchen Gespannen sogenannte „Knappes", rotseidene „Fischchen" »m Ende der Peitschenschnur zum Knallen. Dazu ist die Peitsche nicht da. In der Stadt dient sie besonders zum frühzeitigen Änderten beabsichtigter Linkswendungen und plötzlich notwendig werdender Paraden. Ferner sieht man noch häufig den Gebrauch der Peitsche „aus dem Handgelenk". Das ist abscheulich, trifft nicht sicher das faule Pferd, oft nur sein Geschirr und erregt durch Geräusch das fleißige. Die Peitsche muss aus dem langen Am angelegt oder „hingelegt" werden, wie man eine Angelrute auswirft, geräuschlos und genau die gewollte Stelle treffend, zwischen Kammdeckel und Hüfte oder als Strafe an der Brust. Die gegenteilige Art ist Kitsch.
Die Fahrprüfungen dürfen von der Leitung in Bezug auf Zeit nicht mehr so stiefmütterlich behandelt werden wie bisher. Fünfzehn Minuten zur Beurteilung von fünf Viererzügen und dann sieben einzeln zu prüfenden Fahrern ist der reine Mord. Auf dem letzten Turnier war der Vergleich zwischen Fahrerprüfung und Hindernisfahren sehr interessant, da einige Bewerber in beiden Nummern fuhren. Frau Schmitz-Hasenwinkel hat große Übung und kann sehr viel, aber einige Eigenheiten wären doch wohl abzuschleifen. So scheinen ihre Pferde nur zu gehen, wenn sie zu ihnen spricht. Gefühl ist alles. — Auch das Gefühl, wie schnell man umhauen kann. Frau Schmitz gab ihr Bestes, wenn ich sie fahren sehe, immer erst nach einem Sturz infolge zu schnell genommener Wendung: Wien 1914, Berlin 1919. In Wien fuhr sie nachher prachtvoller ihr Tandem; hier gewann sie das Hindernisfahren. Umwerfen gehört eigentlich in die Proben, nicht in die Vorstellung. Zum Hindernisfahren hätte den Bewerbern die Bahn gezeigt werden müssen; es fehlte eine Skizze im Programm, und auf dem am Meldebüro angeschlagenen Plan war ein Hindernis, das Wichtigste, umgekehrt eingezeichnet, als es aufgebaut war. Trotzdem kein falsches Fahren und kein Protest.
Original Text: Benno von Achenbach Bearbeitung: H.B.Paggen
Quelle: Sport 1920 Sammlung Verfasser